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Der Wunderbrunnen von Blomberg

Vor alter Zeit lebte in dem Städtchen Blomberg eine Witwe, die sehr reich war, jedoch mit dem Segen an Geld und Gut, der durch den Tod ihres Mannes über sie gekommen war, keineswegs zufrieden war. Trotz der äußerlich so glücklichen Verhältnisse, in denen sie lebte, blickte sie mit Neid und Missgunst auf ihre Nachbarn, die teils durch anhaltenden Fleiß, teils durch irgendeine Erbschaft ihr Vermögen vermehrt hatten. Nun besaß diese Frau auch einen Kaufmannsladen, aber weil sie zu knapp das Gewicht gab, auch die Käufer überforderte, blieben die Kunden nach und nach weg. Es fiel ihr aber nicht ein, daran zu denken, dass sie an dem Rückgang des Geschäftes selbst schuld sein könnte. Sie lebte in dem Glauben, dass ihre Nachbarn, welche ähnliche Geschäfte hatten, ihr die Kundschaft auf unerlaubte Weise weglockten. Nun wohnte wenige Häuser von dem ihren eine wackere Frau, gleichfalls Witwe, die auch einen Kramladen unterhielt und ihre Kunden redlich bediente, auch mildtätig war und den armen Leuten schon manchmal ein Stück Zeug aus Barmherzigkeit ohne Bezahlung überließ. So ruhte Segen auf ihrem Hausstand, und sie wurde von Jahr zu Jahr wohlhabender.  Die ungerechte und geizige Witwe trat nun eines Tages in den Laden der biederen Frau und fragte sie mit neiderfüllten Blicken, wie man es anfinge, täglich reicher zu werden bei dem Kleinkram, mit dem sie handele, ob denn das wohl mit rechten Dingen zuginge? Die brave Frau lächelte schelmisch, und meinte, man muss einen Gott im Kasten haben, mit der Arbeit allein wär's nicht getan. Die geizige Witwe mochte das wohl nicht richtig verstanden haben, und sie beschloss sich einen Gott nach ihrer Meinung zu beschaffen. Weil sie aber kein Geld dafür auslegen wollte, um sich den vermeintlichen Gott zu kaufen, rannte sie einmal heimlich zur Kirche und entwendete in einem unbewachten Augenblick, was ihr als der Gott erschien, den man in die Geldtruhe legte. Sie lief in tiefster Mitternachtsstunde - und es war gerade Weihnachtszeit, wo des Abends spät noch Gottesdienst abgehalten wird - in die Kirche, ließ sich einschließen und stahl die Hostie aus der Monstranz und schlich damit, vor Kälte bebend, vielleicht auch vor Angst, als die Kirche wieder geöffnet wurde, nach Hause. Sie legte die Hostie in die Geldtruhe und meinte, dass sie nun wohl für immer geborgen und reich bliebe.

 Sehr bald aber wurde der Kirchenraub entdeckt. Es wurde fast überall Haussuchung vorgenommen, und zuletzt kam man auch zu der Täterin. Eine entsetzliche Angst befiel die Frau. Rasch nahm sie die Hostie wieder aus dem Kasten und lief in den Hof zu ihrem Brunnen und warf das Heiligtum da hinein. Zu ihrem großen Schrecken musste sie jedoch die Wahrnehmung machen, dass es nicht untertauchte, sondern fortwährend oben auf dem Wasser schwamm. Nun kamen Mönche suchend in ihr Haus, durchstöberten es bis zum Hahnebalken. Endlich gingen sie auch in den Hof und fanden auf dem Wasser des Brunnens, was sie suchten. Darüber erstaunten sie sehr und fragten die Besitzerin, wie die Hostie wohl dahingekommen sein möchte. Da sagte sie achselzuckend und mit Unschuldsmiene: "Gott weiß es." Da sie aber bei aller Beherrschung sehr blass aussah und zitterte, so warf man doch Verdacht auf sie, nahm sie gefangen und mit ihr den Knecht und die Magd, welche sie des Diebstahls bezichtigt hatte. Alle drei mussten sich einem strengen Verhör unterziehen. Die beiden Dienstboten leugneten standhaft, auch, als sie auf die Folter gebracht wurden. Gott gab ihnen die Stärke, um diese entsetzliche Pein siegreich zu bestehen. Nun wurde auch die wirkliche Diebin gefoltert. Diese leugnete anfangs zwar auch, doch schon bei der dritten Folter verließ sie die Kraft, und sie gestand weinend ihre große Sünde ein. Daraufhin wurde sie als Kirchenräuberin, und weil sie unschuldige Menschen in Gefahr und Not gebracht hatte, zum Feuertod verurteilt, bald danach unter großem Zulauf der Bürgerschaft öffentlich verbrannt. Das Geld und Gut, das sie hinterließ, fiel zur Hälfte der Kirche zu, zur Hälfte bekam es der Knecht und die Magd, als Entschädigung für die erlittenen Schmerzen, die sie unschuldig auf der Folter ausgestanden hatten.

 Diese beiden Menschen reichten sich nach geraumer Zeit die Hand zum Ehebündnis und führten den Laden der verbrannten Witwe nun für eigene Rechnung weiter. Weil sie beide fromm und fleißig waren, also den wahren Gott im Hause hatten, gedieh ihr Handel vorzüglich, und aus zwei blutarm gewesenen Menschen wurden die wohlhabendsten und geachtetsten Bürger von Blomberg.

 Das Wasser des Brunnens auf ihrem Hof, in dem die geweihte Hostie geschwommen war, sollte bald in der ganzen Gegend berühmt werden. Seine Wunderkraft wurde auf folgende Weise entdeckt:

 Eines Morgens litt die junge Frau an heftigen Zahnschmerzen, und ihre Wange war dick geschwollen. Trotzdem ging sie, wie gewöhnlich, an den Brunnen, schöpfte Wasser und wusch sich ihr Antlitz. Unmittelbar darauf verloren sich die Zahnschmerzen, die Geschwulst ging zurück, und sie konnte sich frisch an ihre Hausarbeit begeben. Sie erzählte das sogleich ihrem Mann. Der jedoch dachte an die Hostie und äußerte, dass diese das Wasser wahrscheinlich wundertätig gemacht habe. Um sich zu überzeugen, rief er einen lahmen Bettler zu sich herein, der eben hinkend an der Haustür vorbeikam. Den ließ er zum Brunnen gehen und hieß ihn sein lahmes Bein mit dem Brunnenwasser waschen. Der tat's. Und siehe da, die Lahmheit verließ ihn, und nach einigen Tagen konnte er auf beiden Beinen ganz gut laufen.

 Diese Wunderkur ließ den Hausherrn zu den Mönchen des naheliegenden Klosters gehen, und dort erzählte er, wie das Wasser seines Brunnens mit heiliger Wunderkraft versehen sei. Nun kam der Abt selbst und prüfte die Heilkraft des Wassers an mehreren kranken Brüdern des Klosters. Auch hier bewährte sie sich. Nun erschall der Ruf des Brunnens durch die ganze Stadt und von dieser durch das Lipperland und noch weiter darüber hinaus. Sieche und Kranke strömten aus nah und fern herbei und wurden, da sie gläubig waren, schnell geheilt. Das Kloster aber wurde reich durch die vielen Spenden, die Genesende aus dankbarem Herzen auf dem Altar niederlegten.